gelesen von Rosa Hauch

Ungewöhnliche Geschichte | 19+43=62 mal Kopf verdreht | Weihnachten in Neuseeland

Schäfer, Sabrina

19+43 = 62 mal Kopf verdreht, 2008

Ich sitze in der Straßenbahn und bin auf dem Weg zu ihm. Was würde wohl die Frau rechts neben mir sagen, wenn ich ihr verraten würde, dass ich zu meinem Freund fahre? ,Schön', wäre vermutlich das, was ich hören würde. Wen interessiert das auch schon, wer du bist, was du machst und wen du liebst? Vermutlich niemanden in dieser Straßenbahn. Vielleicht sollte ich hinzufügen, dass mein Freund 24 Jahre älter ist, als ich es bin.

 

Höchstwahrscheinlich würde der Frau das Gesicht einschlafen. Das ist doch immer so, wenn ich es jemandem erzähle. Nur wenige Menschen haben Verständnis dafür, dass ich mein Herz an einen älteren Mann verloren habe.

Und das ,mit jungen 19 Jahren', wie es so schön heißt.

 

Warum auch nicht?! Reife Männer haben für mich mehrere Vorteile: Sie sind gebildet, haben Lebenserfahrung, ein Ziel vor Augen und sie wissen, wie man eine Frau behandelt. Bei jungen Männern habe ich das noch nicht gefunden. Ein Vorurteil? Nein, ich habe keinen Vaterkomplex, ich steh einfach so auf ältere Männer!

 

Ich überlege, wie es angefangen hat. Eine neue Arbeit. Ich war hochmotiviert alles richtig und zur Zufriedenheit aller zu erledigen. Und ich sah ihn. Am Anfang ein eher unauffälliger Mensch, freundlich und zuvorkommend.

Natürlich merkt man als Frau sofort, ob ein Mann attraktiv ist, oder nicht. Er war es mit Sicherheit und das ein oder andere mal stellte ich mir vor, wie es wäre ihn zu küssen.

 

"Nächster Halt: Stauffenbergstraße" tönte eine Stimme durch den Wagen. Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Die Frau neben mir stieg aus. Aus dem Fenster kann ich beobachten, wie sich zwei Männer umarmen.

 

Nachdem er aus dem Urlaub zurück war, begann mein Interesse an ihm zu wachsen. Der kann an jeder Hand zehn Frauen haben, dachte ich. Ich wusste nichts von ihm. Wahrscheinlich hat er eine Familie. Mit 43 ist das doch normal. Wie also stelle ich es an, sein Interesse zu wecken? Sicher ist es doch nur zwecklos und endet für mich unglücklich. Doch diese gewissen Spannung, die sich langsam aber sicher zwischen uns aufbaute, konnte keiner abstreiten. Und so verriet er mir auch irgendwann, dass er doch noch zu haben sei. Ich begann nun wie ein verrückter Teenager Tagebuch zu führen. Das ist schon verdammt aufregend, wenn man seit langem mal wieder richtig verliebt ist. Und jeden Tag flirteten wir mehr.

 

Mein Handy klingelt. Es ist meine Freundin. Sie will wissen, was ich heute Abend vorhabe. "Ich bin bei ihm" sage ich. Sie ist enttäuscht. Fast ganze sechs Jahre hat sie mich für sich gehabt. Jetzt mit Partner ist das doch alles anders. Man muss Kompromisse eingehen. Sie erinnert mich noch kurz daran, dass sie nun allein daheim ,rumhocken' wird und niemanden zum kuscheln hat, bevor sie mir dann aber doch einen schönen Abend wünscht und auflegt.

 

Meine Freundin hat mich immer verstanden. Auch wenn es um die Thematik "Altersunterschied" ging. Sie ist tolerant und kennt mich nur zu gut. So weiß sie eben auch, dass es kein Hirngespinst meiner selbst war, sondern sich echte Gefühle entwickelt haben. Ich kenne Menschen, die das nicht akzeptieren können. Oft fallen Wörter wie "alter Sack" und "eklig". Ich finde das ziemlich ungerecht. Ein bisschen mehr Toleranz, das würde ich mir wünschen. Dann hätte ich nicht halb so viele Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft und den Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld .

 

"Nächster Halt: Webergasse." Schön wieder diese nervende Ansagestimme. Jugendliche strömen in den Wagen, wahrscheinlich kommen sie aus der Schule, Ich hänge weiter meinen Gedanken nach.

 

Als wir uns das erste Mal küssten geschah das ziemlich überraschen. Ich hätte nicht gedacht, dass er fühlt wie ich. Aber was ist schon ein Kuss? Ein Versprechen? Eine nette Geste? Eine Aussage? Ich hatte Angst, dass er mir damit zuviel verspricht. Ständig sprach er von seinen Ängsten, dass seine Freunde und Familienangehörigen ihn nicht verstehen könnten, dass es dem "Ruf" schadet. Letztendlich musste er dann doch entscheiden, ob er sich auf das Abenteuer mit mir einlässt, oder sich diesen Schritt nicht traut. Doch er tat es. Als wir uns das erste Mal privat trafen war ich sehr aufgeregt. Eigentlich hatte ich ihn doch nun schon so oft nah an mir gespürt und doch.... ich wusste heute wird es anders sein. Denn zwei Generationen haben unterschiedliche Interessen und unterhalten sich oftmals nicht über die selben Dinge. Doch komischerweise war das bei uns nie ein Problem. Vielleicht lag es an meiner Reife oder seiner gebliebenen Jugendlichkeit. Meine Güte, im Prinzip haben wir zusammen schon 62 Jahre Lebenserfahrung vorzuweisen. Wow, welche Frau in meinem Alter kann das schon sagen? Und eigentlich ist es doch ganz amüsant.

 

Vor mir sitzt ein Pärchen und küsst sich. Stört mich in letzter Zeit gar nicht mehr.

 

Gleich muss ich aussteigen. Wir wollen heute gemeinsam kochen. Ich konnte nie kochen und kann es vermutlich bis zum heutigen Tag nicht. Aber die Liebe... sie beflügelt.

 

ich bin so glücklich ich kann viel von ihm lernen und er genießt die Jugend, die sich wieder in seinem Leben eingeschlichen hat. Nach und nach wird es von den Menschen hingenommen werden und Normalität zieht ein. Das weiß ich. ich glaube fest daran. Ich glaube aber sowieso immer an das Gute.

 

"Nächster Halt: Rote Straße." Endlich bin ich da. ich steige aus. Mein Herz schlägt. ich freue mich, ihn gleich wieder zu sehen. Als ich an der Tür klingeln will, öffnet er schon. Er hat sich schick gemacht, das sehe ich gleich,. ich freue mich. Er gibt mir einen Kuss. Mit den Worten "Ich habe schon alles vorbereitet", schließt er hinter mir dir Tür.